Rezension | Das Geheimnis von Zimmer 622 – von allem etwas zu viel

»Weil Lachen stärker ist als alles andere, stärker als Liebe und sämtliche Leidenschaften. Das Lachen ist eine Form von zeitloser Vollkommenheit. Man bedauert es nie, man geniesst es immer ganz und gar. Wenn es vorbei ist, ist man zufrieden, man möchte mehr davon, ohne mehr als das zu verlangen. Selbst die Erinnerung an das Lachen ist immer angenehm.«

– S.221

Das Geheimnis von Zimmer 622 | Joël Dicker | aus dem Französischen von Michaela Messner und Amelie Thoma | März 2021 | Piper Verlag | 624 Seiten

Wie kann man seine Gedanken zu einem Buch einigermassen auf die Reihe kriegen, wenn eben jenes Buch zwar mit Wendungen und Irrungen und Wirrungen zu überraschen vermochte, aber gleichzeitig auch so verwirrend und over the top ist? Wenn von allem eine Schippe zu viel drauf gelegt wurde, aber eben dieses Verschachtelte genau das ist, was den Stil ausmacht?
Ihr werdet es mir nachsehen, wenn diese Rezension ebenso verwirrend und verschachtelt wird, wie die Geschichte selbst.

Ein verschachteltes Erzählkonstrukt

Joël Dicker ist der Meister des verschachtelten Erzählens. So führt uns die Rahmenhandlung nach Genf und zum Autor höchstpersönlich. Nach einer gescheiterten Liason möchte er in Verbier in den Walliser Alpen ein wenig Ablenkung und Erholung finden. Doch bereits kurz nach seiner Ankunft auf Zimmer 623 entdeckt er, dass es zwar die Zimmer 621 und 621a gibt, aber keines mit der Nummer 622. Seine Zimmernachbarin, die um Dickers schriftstellerischen Ruhm weiss, motiviert hin daraufhin, dem nach zu gehen und das Geheimnis zu lüften. Und tatsächlich erfahren die beiden ziemlich rasch, dass sich im Zimmer 622 ein Mord zugetragen hatte. Und genau von diesen Ereignissen, die zum Mord geführt haben, berichtet Dicker in der Binnenerzählung.
Darin geht es um den schweizer Bankerben Macaire Ebenzer, dem eigentlich die Nachfolge in der Bank Ebenzer zugestanden hätte. Aufgrund einer früheren Verfehlung ändert sein Vater kurz vor dessen Tod die Nachfolgeregelung. Nun soll der Bankrat über die Präsidentschaft der Ebenzer Bank entscheiden. Und dieser fasst den jungen Banker Lew Lewowitsch ins Auge. Lewowitsch ist allerdings auch mit Macairs Gattin Anastasia verbandelt, was zu allerlei Irrungen und Wirrungen führt.

»Er spürte Wut in sich hochkochen.
Die Stunde der Rache war gekommen.
Er wusste genau, was er zu tun hatte.«

– S. 487

Wie bereits gesagt, Joël Dicker ist ein Meister des verschachtelten Erzählens, das macht seine Bücher auch so speziell und einzigartig. Mühelos wechselt er zwischen der Rahmenhandlung um Dickers Spurensuche und den Geschehnissen Rund um das Bankhaus hin und her. Lüftet mal dort ein Geheimnis oder entdeckt hier die entscheidende Spur. Allerdings wirkt es grad in diesem Buch sehr over the top. Manchmal werden Rückblenden eingeschoben, die nur wenige Zeilen lang – oder eher kurz – sind, oder auch die Rahmenhandlung dauert gerade mal ein, zwei Seiten, bevor wieder in die Vergangenheit abgetaucht wird. Auf Dauer ist das echt anstrengend.

Und leider auch ein wenig eintönig. Denn die Einstiegssätze in neue Abschnitte oder Kapitel fallen immer wieder sehr ähnlich aus. »Währenddessen in der Villa am Genfersee…« »Zur gleichen Zeit im Bankhaus Ebenzer…« und just zur gleichen Zeit, wie die Lift Türen im Hôtel des Bergues hinter Anastasia zufallen, stürmt Macaire aus dem Hoteltreppenhaus in den entsprechenden Flur. Ernsthaft?! Das erinnert mich mehr an eine alte Schwarz-Weiss Komödie aus dem TV oder einen Theaterschwank, als an einen Kriminalroman.

Eine zähe Handlung

Leider konnte ich die Binnenerzählung zeitlich nicht wirklich Einordnen. Zwar weiss man, dass die Rahmenhandlung im Jahr 2018 spielt, die Geschehnisse um das Bankhaus werden aber immer nur mit sehr vagen Zeitangaben versehen. Die Formulierung »15 Jahre vor dem grossen Wochenende« passt sowohl in die 2000er Jahre, kann aber genau so gut auch in den 70ern oder 80ern sein. Und leider gab mir auch die Erzählung selbst keine nennenswerten Hinweise, wie z. Bsp. der Gebrauch von Händys oder das Versenden von Emails.
Oder ich habe es überlesen, da die Handlung vor allem in den ersten 2/3 des Buches durch die Verschachtelung und die unzähligen Rückblenden echt zäh voran geht. Es dauert auch nur schlappe 400 Seiten, bis wir endlich einmal wissen, wer denn in Zimmer 622 ermordet wurde. Von da weg blitzt aber die Raffinesse und das Können des Autors durch und die Spannung ebbt nicht mehr ab.
Was ich aber Joël Dicker zugutehalten muss, ich war echt überrascht. Ich bin nämlich davon ausgegangen, dass eine ganz andere Person ermordet wird. Überhaupt hätte ich die Auflösung so nie und nimmer auf dem Schirm gehabt. Und das ist doch auch irgendwie grosse Kunst.

»Das Leben ist ein Roman, dessen Ausgang man bereits kennt: Der Held stirbt zum Schluss. Das Wichtigste ist also nicht, wie unsere Geschichte endet, sondern womit wir die Seiten füllen.«

– S.617

Fazit

Der neue Roman von Joël Dicker Das Geheimnis von Zimmer 622 braucht etwas bis er in die Gänge kommt. Wie schon in seinen Vorgängern wird auch hier die Geschichte mit zahlreichen Rückblenden und Verschachtelungen erzählt – die Spezialität von Dicker. Nur leider macht diese Erzählweise das Buch in den ersten 2/3 sehr mühsam und zäh zu lesen.
Erst im letzten Drittel lässt Joël Dicker dann seine Klasse aufblitzen und die verworrene Handlung beginnt sich aufzulösen. Das sorgt für zahlreiche Überraschungsmomente und unerwartete Wendungen, so dass das Buch einen versöhnlichen Abschluss findet.

Weitere Meinungen

»Roman Nr. 4 von Joël Dicker; ganz anders aufgebaut aus die Vorgänger, nur eines hat er mit den anderen gemeinsam: Fans von Spannung und von gut konstruierten Thrillern kommen voll und ganz auf ihre Rechnung!«LiteraturBlog

Ihr habt das Buch ebenfalls rezensiert? Dann lasst mir in den Kommentaren doch einen Link zu eurer Rezension da.


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6 Antworten zu “Rezension | Das Geheimnis von Zimmer 622 – von allem etwas zu viel”

  1. Liebe Daniela

    Ich habe immer noch kein einziges Buch von Joël Dicker gelesen…

    Und so sehr ich die Erzählsprache sicher mögen würde (verschachtelt, anspruchsvoll, spannend), würde es mir wohl ein wenig zu lange dauern, bis alles Fahrt aufnimmt. Ich habe ganz fest vor, mit dem ersten Roman von Dicker zu beginnen (irgendwann), weil der durchs Band positiv aufgenommen worden ist. Ob ich es dann aber bis zu „Das Geheimnis von Zimmer 622“ schaffe, lasse ich mir noch offen.

    Alles Liebe an dich
    Livia

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