Rezension | Das Buch Ana – eine Stimme für die Frauen

Jesus schien Ähnliches durch den Kopf zu gehen, denn er sagte: »Als wir uns das erste Mal bei der Höhle begegnet sind, sprachen wir über den Tempel. Erinnerst du dich? Du hast mich gefragt, ob Gott dort wohnt oder im Menschen.«
»Und du hast geantwortet: ›Kann er nicht in beiden wohnen?‹«

»Und du sagtest: ›Kann Gott nicht überall wohnen? Lassen wir ihn frei‹ Das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich dich lieben würde, Ana. Da wusste ich es.

–aus “Das Buch Ana“ von Sue Monk Kidd, S.239-240

Das Buch Ana | Sue Monk Kidd | aus dem Amerikanischen von Judith Schwaab | btb Verlag | August 2020 | 576 Seiten

Nach einer langen und anstrengenden Teamsitzung verspürte ich das Bedürfnis nach etwas Schönem und Entspannendem und so fand ich mich in der Buchhandlung bei mir im Dorf wieder. Auf mein Bauchgefühl hörend entschied ich mich für Das Buch Ana von Sue Monk Kidd und begann noch am gleichen Abend zu lesen. Belohnt wurde ich mit einer einmaligen und lebendigen Geschichte.

In diesem aussergewöhnlichen Roman wird die Geschichte von Ana erzählt. Von Kindesbeinen an ist sie rebellisch und verweigert sich dem, was sich für ein Mädchen gehört. Sie lernt lesen und schreiben – was damals in den ersten Jahrzehnten nach Christi Geburt nur den Männern vorbehalten war – und schreibt die Geschichten von verstossenen, versklavten, misshandelten und unterdrückten Frauen nieder.
Die eigentliche Geschichte des Romans beginnt mit Anas 14. Lebensjahr. Gegen ihren heftigen Widerstand vollzieht ihr Vater die Verlobung seiner Tochter mit einem wesentlich älteren Ehemann. Dabei bemerkt Ana, dass sie regelrecht verschachert wurde gegen ein Stück Land. Durch den Tod ihres Verlobten bleibt Ana die Ehe erspart. Von nun an gilt sie jedoch als Witwe.
Als Ana eines Tages beinahe vom Pöbel gesteinigt wird, rettet Jesus sie. Kurze Zeit später wird der Verlobungskontrakt unterzeichnet und Ana geht mit ihm nach Nazareth, wo sie fortan bei seiner Familie leben wird.

Obwohl sich die Geschichte mehrheitlich um Ana dreht und auch aus ihrer Perspektive erzählt wird, so bekommen wir doch einen Einblick, wie gleichzeitig Jesus seinen Weg geht, seine Hingabe und Berufung zu Gott entdeckt und mit dem predigen beginnt. Ana spürt, wie wichtig ihm sein Glaube ist, genauso wie auch er spürt, was in Ana schlummert und sie für ihr ungezähmtes Wesen und ihre Intelligenz liebt. 
Sue Monk Kidd beschreibt immer wieder Ungerechtigkeiten Frauen gegenüber, wie über ihr Leben von Männern bestimmt und wie sie mundtot gemacht werden, wenn sie aufbegehren. Auch Anas Drang nach Unabhängigkeit, ihr Wunsch eine Stimme zu haben stösst immer wieder gegen die Härte von Männern. Sei das durch Jesus Bruder oder etwas später nach ihrer Flucht nach Alexandria durch die Grausamkeit und Bitterkeit ihres Onkels Haran. Allerdings sind es nicht nur Männer, die Ana das Leben schwer machen. Viele Frauen haben auch kein Verständnis für ihre Rebellion und ihre fortschrittlichen Gedanken. 

Auch wenn die Geschichte von Ana rein fiktiv ist, so vergisst man das während der Lektüre gerne einmal. So real erscheint einem das Leben auf dem Bauernhof in Nazareth und die Liebe von Ana und Jesus. Gleichzeitig geht Sue Monk Kidd sehr behutsam mit dem historischen und religiösen Erbe der Geschichte um Jesus um. Bedenkt man, in welcher Zeit die Protagonisten leben, so ist es eigentlich mehr als wahrscheinlich, dass Jesus verheiratet war. Sehr interessant in Bezug darauf sind auch die Schlussworte der Autorin zu lesen, wo sie erklärt, wie sie an den Roman heran gegangen ist. 

»Als ich mich umblickte, sah ich, dass all diejenigen, die noch mit ihm gingen, Frauen waren. Wo waren eigentlich seine Jünger? Die Fischer? Die Männer? Waren wir Frauen denn die Einzigen, deren Herzen gross genug waren, ein solches Grauen zu ertragen?«

– aus “Das Buch Ana“ von Sue Monk Kidd, S.516

Das Buch Ana ist voll mit Geschichten von Frauen, denen Unbegreifliches widerfahren ist. Immer wieder musste ich einen Kloss im Hals weg schlucken oder ballte die Faust, wenn beispielsweise geschildert wird, wie die Frau nach einer Vergewaltigung bestraft wird, obwohl sie das Opfer ist, oder wenn über die Köpfe der Frauen hinweg über Ehen und andere Geschäfte verhandelt wird. Aber auch die Kraft, die Stärke dieser Frauen ist beeindruckend, wie sie trotz all der Leiden und des harten Lebens nie den Mut verlieren.

Fazit

Das Buch Ana ist ein gewaltiges Buch. Es erzählt nicht nur vom harten Los der Frauen zur damaligen Zeit, bringt uns ihre Qualen und die Steine, die ihnen zwischen die Füsse geworfen werden näher, sondern erzählt auch von einem spannenden Gedankenspiel. Was wäre gewesen, wenn Jesus eine Frau gehabt hätte? Ich kann mir vorstellen, dass diese Ausgangslage polarisiert und den Unmut von so einigen auf sich zieht. Doch ich kann nur allen Raten mit offenem Herzen an diese Geschichte ran zu gehen. Besonders wenn sie vielleicht dem eigenen Glauben widerspricht. Denn manchmal tut es einfach gut, aus dem Gewohnten auszubrechen und sich auf neues Terrain zu wagen. Und sei es nur in Gedanken.

Weitere Meinungen

»Mich hat das Buch sehr mitgenommen. Der Blick auf die Geschichte Jesu macht dabei einen kleinen Teil aus. Es ist die große Liebe von Ana zu Jesus und dem Leben, das mich sehr berührt hat. Absolutes Lesefutter!«Karminrotes Lesezimmer

»Ich bin von diesem Roman, den ich nicht aus der Hand legen konnte, bevor ich die letzte Seite erreicht hatte, absolut begeistert. Eine klare Leseempfehlung für alle Frauen – und Männer!«Leselust

»Mit einer beeindruckenden Sprache und einer noch mehr beeindruckenden Geschichte konnte mich das Buch von Sue Monk Kidd auf voller Länge abholen. Es wird nicht mein letzter Roman von ihr sein! Meiner Meinung nach muss man auch nicht hoch interessant an Religion sein für das Buch, da es eher um die Emanzipation von Ana geht. Es geht um eine starke Frau und ihrem langen Weg zu dem Leben, dass sie sich wünscht.«Tiefseezeilen


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4 Antworten zu “Rezension | Das Buch Ana – eine Stimme für die Frauen”

  1. Liebe Daniela

    Ich war mir bisher mit dem Buch nicht sicher. Die Geschichte klingt total spannend, der Verlag ist auch vielversprechend und trotzdem hatte ich Angst, dass wohl entweder zu viel Religiösität oder auch historische Ungenauigkeiten vorkommen würden.

    Deine Rezension hat mich das Buch nun gleich auf die Wunschliste setzen lassen und sehr wahrscheinlich werde ich es einer Ana, die ich kenne, zu Weihnachten schenken.

    Alles Liebe an dich
    Livia

    Gefällt 1 Person

    • Liebe Livia

      Natürlich geht es um Glaube, Religion und das Leben von Jesus, aber Ana bleibt dabei immer im Fokus. Und so geht es halt auch um Bildung, Frauenrechte und die Stärke der Frauen. Für mich ein absolut grosses Buch!

      Grüessli, Daniela

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