»Gute und schlechte Dinge – jede Freundschaft, jede Liebe, jeder Unfall und jede Krankheit – waren Ergebnis der Verschwörung Hunderter Kleinigkeiten, die jede für sich genommen vollkommen belanglos waren.«
– aus “Miracle Creek“ von Angie Kim, S. 385
Miracle Creek | Angie Kim | aus dem Englischen von Marieke Heimburger | März 2020 | Hanser Literaturverlage | 512 Seiten
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Miracle Creek war eines der zwei Bücher, die mich durch meinen Urlaub begleiteten und ich hätte nicht besser Auswählen können. Die Geschichte ist nicht nur spannend und vielschichtig, sie vereint sowohl die unterschiedlichsten Themen, sozial kritische Fragen als auch ethische Gedankengänge und zeigt eine Bandbreite an Charaktere, die zugleich sympathisch und unausstehlich sind und dadurch unglaublich authentisch wirken.
Ein Unfall und seine Folgen
In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht ein Sauerstofftank in Flammen auf. Zwei Menschen sterben – Kitt, die eine Familie mit fünf Kindern zurücklässt, und Henry, ein achtjähriger Junge. Im Prozess wegen Brandstiftung und Mord sitzt Henrys Mutter Elizabeth auf der Anklagebank. Und die Beweise sind erdrückend. Hat sie ihren eigenen Sohn ermordet? Während ihre Freunde, Verwandten und Bekannten gegen sie aussagen, wird klar: In Miracle Creek hat jeder etwas zu verbergen. (Quelle: Hanser Verlag)
Ich weiss gar nicht recht, wie ich meine Gedanken zu diesem Buch in Worte fassen soll. In diesen Roman sind nämlich grad so einige Themen gepackt, die mich auch jetzt noch – Wochen nach der Lektüre – beschäftigen. Es geht um Lügen, Migration, Eheprobleme aber auch Mutterschaft und Behinderung spielen eine grosse Rolle. Die Ereignisse werden uns mit Hilfe einer Gerichstverhandlung erzählt. Wie das Publikum während des Prozesses erfahren wir so von unterschiedlichen Zeugen immer mehr über den verhängnisvollen Tag. Und schnell wird klar, dass es mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen wird. Die eine verschweigt da etwas, der andere behauptet, es sei so und nicht anders gewesen. Lügen sind so eine Sache, einmal damit angefangen gibt es kein zurück mehr. Bei kleinen Notlügen mag das vielleicht noch funktionieren, vor Gericht ist es aber eine ganz schlechte Idee. So auch in Miracle Creek, denn die Zeugen verstricken sich immer mehr in ihre Lügengeschichten, aber am Ende kommt die Wahrheit doch ans Tageslicht.
Angie Kim schildert diese Verstrickungen sehr gekonnt, die unterschiedlichen Perspektiven verstärken den verzwackten Eindruck noch. So habe ich mich manches Mal gefragt, was dieses neue Detail nun wieder bedeutet. Und ich hatte auch immer mal wieder eine andere Person in Verdacht. Jeder erzählt seine eigene kleine Wahrheit und da alle ab einem gewissen Punkt lügen, werden auch viele falsche Schlüsse gezogen, was zu noch mehr Lügen und Unwahrheiten führt. Ihr seht, eine ganz schön verzwickte Geschichte.
Mutterschaft und Behinderung
Mütter und Behinderung sind für mich zwei weitere sehr zentrale Themen in diesem Roman, die mich nicht nur von Berufswegen interessieren. Wie oft wird uns auf den Sozialen Medien vorgegaukelt, Mutterschaft sei DIE Erfüllung schlechthin und das BESTE und GRÖSSTE, was einem als Frau* passieren könnte. Da ich selbst (noch) keine Mutter bin, kann ich mich nur auf die Aussagen meiner Kolleginnen stützen, die bereits Mütter sind und sie zeichnen ein viel realistischeres Bild von Mutterschaft. Wie in so vielen Situationen gibt es auch da Ups und Downs, an einem Tag gibt es nichts schöneres als Mutter zu sein und dann wieder gibt es Momente, wo man am liebsten einfach alles hinschmeissen würde.
»Rosas Tod hätte ihr Leben zerstört, sie zerstört. Aber er hätte ihr den Luxus einer Endgültigkeit beschert, eines in die Erde versenkten Sarges und eines Abschieds. Und irgendwann hätte sie sich wieder aufgerappelt und sich ein neues Leben aufgebaut.«
–aus “Miracle Creek“ von Angie Kim, S.309
So und nicht anders geht es auch den Müttern in Miracle Creek. So unterschiedlich sie auch sind, sie alle opfern sich für die Betreuung und Förderung ihrer Kinder mit besonderen Bedürfnissen auf, fahren von einer Therapie zur nächsten und versuchen alles Mögliche, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen und sie einem Ideal näher zu bringen, dass von der Gesellschaft als akzeptiert gilt. Denn alle wollen nur das Beste für ihr Kind.
Eine Bandbreite an menschlicher Charaktere
Ein weiterer sehr spannender Aspekt in diesem Roman sind die unterschiedlichen Protagonisten. Gleich mehrere von ihnen kommen auch zu Wort und schildern so ihre Sicht auf die Ereignisse. Und dabei offenbaren sie nach und nach ihre Charakterzüge. Wer zu Beginn noch sympathisch erschien, verliert im Laufe der Geschichte an Glaubwürdigkeit. Wer nur seine Familie schützen wollte, besteht zum Ende hin auf die Wahrheit. Angie Kim zeigt uns hier die Menschlichkeit in all ihren Facetten und Widersprüchen und schafft so sehr komplexe Protagonisten.

Fazit

Miracle Creek ist ein Roman, der mir ausserordentlich gut gefallen hat. Die Geschichte ist sowohl Gerichtsthriller, als auch ein sehr eindringliches Familiendrama. Der Prozess bildet den Rahmen, in dem die Protagonisten agieren, sich in Lüge und Wahrheit verstricken und uns alle Seiten ihres Charakters offenbaren. Dabei werden Themen wie Migration, Behinderung oder Mutterschaft angeschnitten. Zentral ist jedoch das feine Netz aus Lügen, das nach und nach aufgedeckt wird, bis nur noch die überraschende Wahrheit übrig bleibt.
Übrigens, ich habe Mircale Creek in der Onleihe ausgeliehen und so auf meinem neuen eReader von Pocketbook gelesen.
Weitere Meinungen
»Sehr kurzweiliger Roman, fast wie ein Krimi. Er zeigt, wie Lügen ins Unglück führen und die Wahrheit ebenfalls unglücklich machen kann. Spannend, aber nie seicht, unterhaltsam, aber mit kontroverse Themen behandelnd.« – Leckere Kekse
»Aber im Kern ist Miracle Creek in meinen Augen ein Familiendrama, das eindringlich die möglichen Konsequenzen von fehlender Kommunikation und psychologischen Eigendynamiken belegt. Ein Blick tief hinein in einen Strudel aus Unwahrheiten und Lügen, der sich spannend und psychologisch glaubhaft liest.« – Buchhaltung
»Ich habe dieses Buch verschlungen. Einzigartig in der Thematik, rasant, spannend und unvorhersehbar: „Miracle Creek“ ist definitiv ein Roman, der in Erinnerung bleibt. Bisher definitiv ein großes Jahreshighlight!« – Buch & Wort
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Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Pocketbook, der eReader wurde mir zum Testen zur Verfügung gestellt.
7 Antworten zu “Rezension | Miracle Creek – von kleinen Lügen und grossen Auswirkungen”
Überzeugt und gekauft!
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Wunderbar! Du wirst es nicht bereuen ☺️
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Tipp: „Reise ins Verderben“ von mir, Konstantin von Weberg. 🤓📖📚💗
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Tolle Rezension! Danke!
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Gerne. Und danke dir!
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[…] Als Ferienlektüre hatte ich auf unserer kleinen Schweizerreise Alte Sorten von Ewald Arenz und Miracle Creek von Angie Kim dabei. Beides Bücher mit nicht ganz einfacher Thematik, aber so tiefgründig und […]
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[…] USA: Daniela (read eat live) mitMiracle Creek von Angie […]
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