Rezension | Abir Mukherjee – Ein angesehener Mann

Ein angesehener Mann | Abir Mukherjee | aus dem Englischen von Jens Plassmann | Juli 2017 | Heyne Verlag | 512 Seiten
Mein Dank geht an den Heyne Verlag für die Zusendung dieses Leseexemplares. Meine ehrliche Meinung wurde nicht beeinflusst.

»Aber Menschen, egal ob nun braune oder weisse, die bereit waren, sich auf blosse Launen ihrer Vorgesetzten hin zu opfern, hatten etwas furchtbar Deprimierendes an sich, und wenn die Bengalen keine Lust dazu hatten, fand ich das völlig in Ordnung.« (S. 81)

Erster Satz

Immerhin war er gut angezogen.

Verlagstext

Kalkutta 1919 – die Luft steht in den Straßen einer Stadt, die im Chaos der Kolonialisierung zu versinken droht. Die Bevölkerung ist zerissen zwischen alten Traditonen und der neuen Ordnung der britischen Besatzung.

Aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, findet sich Captain Sam Wyndham als Ermittler in diesem Moloch aus tropischer Hitze, Schlamm und bröckelnden Kolonialbauten wieder. Doch er hat kaum Gelegenheit, sich an seine neue Umgebung zu gewöhnen. Denn ein Mordfall hält die ganze Stadt in Atem. Seine Nachforschungen führen ihn in die opiumgetränkte Unterwelt Kalkuttas – und immer wieder an den Rand des Gesetzes. (Quelle: Verlag)

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Meine Meinung

Als ich vom Heyne Verlag angeschrieben wurde, ob ich nicht Lust hätte, dieses Buch zu lesen und zu rezensieren, konnte ich einfach nicht widerstehen, da ich schon seit meinem Neuerscheinungspost ein Auge darauf geworfen hatte. Nun schiebe ich jedoch die Buchbesprechung immer länger vor mir her und es fällt mir zunehmend schwerer den Einstieg zu finden.

Die Geschichte spielt in Britisch-Indien während den 20er Jahren, es ist die Zeit der Kolonialherrschaft, der weissen Herren und der braunen Bevölkerung. Und nirgends wird das wohl so deutlich wie in Kalkutta, der Stadt selbst. Eingeteilt in Black Town und White Town durchzieht eine messerscharfe Trennlinie die Stadt und die Bevölkerung. 300 Millionen Inder werden von nur gerade 150’000 Briten beherrscht und unterdrückt. Was für ein Ungleichgewicht! Und ein wunderbares Beispiel, wie Macht und Angst Hand in Hand gehen.
Ein angesehener Mann ist der erste Band um den Ermittler Captain Sam Wyndham, der sich bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in Indien mit dem Mord an einem hochrangigen Beamten befassen muss. Unterstützung erhält er von Sergeant Surendranath Banerjee, einem Inder, der von allen nur ‹Surrender-Not› gerufen wird und Inspector Digby, einem reichlich unsympathischen Zeitgenossen, seines Zeichen Brite. Bald schon mischt das Team im Zuge der Ermittlungen Britisch-Indien bis in die höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreise auf.

Ein_angesehener_Mann_2Abir Mukherjee’s Schreibstil hat mich wirklich begeistert. Er liess vor meinem inneren Auge Bilder entstehen, ich spürte die drückende Hitze am eigenen Leib (ok, vielleicht war das auch nur, weil es wirklich heiss war, als ich das Buch las) und schmeckte die exotischen Gewürze oder die missratenen Gerichte von Mrs. Tebbit auf meiner Zunge. Ich hatte das Gefühl, neben Captain Wyndham durch die dampfenden Gassen Kalkuttas zu spazieren und die Anspannung der Stadt regelrecht zu fühlen. Und dabei gleitet seine Sprache mühelos von blumigen Beschreibungen über zu klaren und strukturierten Passagen.

»Der Treppenaufgang roch nach Wohlstand. Eigentlich roch er nach Desinfektionsmittel, aber in Kalkutta ist das mehr oder weniger das Gleiche.« (S. 137)

Mit der gleichen Klarheit zeichnet Mukherjee auch ein ungeschöntes Bild von Britisch-Indien in den 20er Jahren, zeigt die klare Spaltung der Bevölkerung, aufkeimendes, revolutionäres Gedankengut, den unterschweligen Rassismus und die Brutalität mit der das Emipre gegen die einheimische Bevölkerung vorgeht. Als Stichwort nenne ich hier nur den Rowlatt Act, der es der Regierung erlaubt, Inder, die des Terrorismus verdächtigt werden ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren.

Aber nicht nur historisch gibt das Buch so einiges her, auch die Handlung und die Charaktere sind sehr facettenreich gestaltet. So ist beispielsweise Captain Sam Wyndham kein typischer Kriegsheld, sondern stark desillusioniert vom ersten Weltkrieg und vom Tod seiner grossen Liebe. Und auch wenn er einige moderne Werte vertritt und ziemlich vorurteilsfrei mit seinen Untergebenen und der indischen Bevölkerung umgeht, so ist er doch auch ein Produkt seiner Zeit und dem Empire gegenüber zu Loyalität verpflichtet. Das macht seinen Charakter sehr interessant. Aber auch Banerjee wirkt in seiner Zerrissenheit zwischen seinem Volk und dem Empire, dem er dient sehr authentisch und alles andere als eindimensional. Einzig Digby ist von Beginn weg nicht wirklich ein Sympathieträger und seine Entwicklung und Rolle in der Geschichte ist spannend zu beobachten.

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»Andererseits leben wir hier einfach in einem Land voller Heuchler. Die Briten geben vor, hier zu sein, um einem unregierbaren Haufen Wilder die Vorzüge der westlichen Zivilisation nahezubringen, während es in Wahrheit immer nur um schnöden wirtschaftlichen Gewinn ging. Und die Inder?« (S. 157)

Und ebenso vielschichtig wie die Charaktere und zu allem übel auch noch sehr verworren ist der Mordfall, den es zu lösen gilt. Wyndham und sein Team ermitteln in viele verschiedene Richtungen und lange ist unklar, welches Motiv hinter der Tat steckt. An Verdächtigen mangelt es nicht und diese kommen sowohl aus der High Society der Kolonialisten, wie auch aus der ärmlichen indischen Bevölkerung. Bis zum Schluss darf der Leser mit rätseln, wer denn nun der Mörder ist. Und ich persönlich hätte ganz und gar nicht mit dieser Auflösung gerechnet.

Fazit

Lese-TippAbir Mukherjee’s Erstlingswerk Ein angesehener Mann ist ein spannender und gut konstruierter Krimi, der nicht nur durch seine vielschichtigen und menschlichen Charaktere und einen verworrenen Fall punkten kann, sondern auch der historische Kontext und das exotische Flair, welches Indien anhaften, machen die Geschichte zu etwas ganz speziellem. Dieses Buch ist ein toller Lese-Tipp meinerseits und für alle Fans von historische angehauchten Kriminalromanen spannend.

Die Reihe

Ein angesehener Mann | Ein notwendiges Übel | Eine handvoll Asche


Über den Autor

Abir Mukherjee ist Brite mir indischen Wurzeln: Seine Eltern wanderten in den Sechzigerjahren nach England aus. Sein Debütroman Ein angesehener Mann schaffte auf Anhieb den Sprung auf die britischen Bestsellerlisten. Mukherjee lebt mit seiner Familie in London. (Quelle: Randomhouse)


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