5 Gründe, warum man Die Spiegelreisende lesen sollte

»In dem Moment, als die mechanische Störung behoben war und der Aufzug seine Fahrt fortsetzte, gelobte Ophelia sich, den Rat ihrer Schwester niemals zu befolgen. Skrupel waren sehr wichtig. Sie waren sogar viel wichtiger als ihre Hände. ›Um durch Spiegel zu gehen‹, hatte der Grossonkel zum Abschied gesagt, ›- muss man sich selbst gegenübertreten.‹ Solange Ophelia Skrupel hatte, solange sie im Einklang mit ihrem Gewissen handelte, solange sie ihrem Spiegelbild jeden Morgen in die Augen sehen konnte, würde sie niemand anderem als sich selbst gehören.«
– „Die Verlobten des Winters“, S.534

Das ist mir ja schon echt lange nicht mehr passiert. Im August war ich etwa anderthalb Wochen nur im äussersten Notfall ansprechbar, weil meine Nase in jeder freien Minute in den Büchern von Christelle Dabos steckten. Die Autorin hat mich mit ihrer einmaligen Welt und den einzigartigen Charaktere, die sie bevölkern absolut aus den Socken gehauen. Und so habe ich die vier Bände einen nach dem anderen gelesen und wollte gar nicht mehr aufhören, die Welt, die Fantasie, die Protagonisten … einfach alles habe ich in mein Herz geschlossen. 
Kein Wunder also, dass für diese Reihe auch ein ganz spezieller Beitrag her muss, vier Rezensionen, in denen ich euch von den Büchern vorschwärme, wären wohl nicht sonderlich interessant zu lesen. Zumindest nicht viermal hintereinander. Darum begnüge ich mich damit, euch einmal mit dem Spiegelreisenden-Virus zu infizieren und gebe euch fünf Gründe, warum ihr die Bücher unbedingt lesen solltet. 

1 – der Weltenbau

Die Spiegelreisenden Saga spielt in einer Welt, die man so nicht kennt und die unglaublich faszinierend ist. Vor hunderten von Jahren wurde die Welt, wie wir sie kennen, zerschlagen und ist seither in viele im Himmel schwebende Archen zersplittert. Diese Archen sind über den ganzen Globus verteilt und unterschieden sich zum Teil sehr gewaltig voneinander. Auf der Arche Anima ist es beispielsweise sehr grün, gemütlich und lebendig und sie wird von „einer grossen Familie“ bevölkert. Am Pol hingegen herrschen kriegslustige Klans, es ist kalt und dunkel und voller Illusionen. 
Nur schon die geographische Beschreibung dieser Welt und die Verschiedenheit dieser Archen liessen meine Fantasie verrückt spielen. Vor meinem inneren Auge sah ich gigantische Felsbrocken am Himmel schweben, Flüsse, die über den Rand der Archen rauschten und in einem endlosen Wolkenmeer versinken oder Paläste, die im Himmel schwebten. Ich empfand das alles als so anders, als alles was ich sonst so aus Fantasybüchern kenne, dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kam. 

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2 – die Magie

Ja, auch in der Spiegelreisenden Saga gibt es Magie, allerdings ist sie nicht zu vergleichen mit den Zaubersprüchen aus Harry Potter oder den Magiern von J.R.R. Tolkien. Vielmehr wird sie bestimmt vom Familiengeist der jeweiligen Arche. Artemis zum Beispiel ist der Familiengeist von Anima und die Beherrscherin der Dinge. Ihre Nachkommen und die Bewohner der Arche Anima besitzen demnach die Gabe des Animismus (sie können unbelebten Gegenständen Leben einhauchen), des Lesens (sie können mit ihren Händen die Vergangenheit von Gegenständen (oder vielmehr die Gefühle derer Besitzer) erfühlen) und einige wenige (Ophelia zum Beispiel) sind in der Lage durch Spiegel zu gehen. 
Und so konnte ich während der Lektüre nicht nur die unglaubliche Geographie der einzelnen Archen entdecken, ich wurde immer wieder aufs neue mit schier unglaublichen Fähigkeiten überrascht, die nicht nur meine Sinne auf die Probe stellten, sondern ein ums andere Mal auch alle Gesetze der Physik aushebelten. 

3 – die Protagonisten

Ophelia ist eine erfrischend andere Protagonistin, mit der man sich unglaublich gut identifizieren kann. Mal abgesehen von ihren Gaben. Denn wer von uns ist schon eine super toughe, Schwerter schwingende, umwerfend schöne Heldin? Eben. Ophelia ist klein, still und belesen und wirkt äusserst unscheinbar. In ihrem Kopf rattern die Gedanken aber in einem fort. Sie ist vielleicht nicht die Superheldin aus den Marvel Comics, aber dumm ist sie deswegen ganz und gar nicht. Sie steht zu ihren Wurzeln, liebt ihre Unabhängigkeit und lässt sich nicht gerne verschaukeln. 
So schlich sich Ophelia still und heimlich in mein Herz hinein und am Ende der Saga konnte ich sie für ihren Mut, ihre Entschlossenheit, ihre Opferbereitschaft und ihre Entwicklung nur bewundern. 

»Du hast von allen in der Familie den stärksten Charakter, meine Kleine. Vergiss, was ich dir neulich gesagt habe. Denn jetzt prophezeie ich dir, dass der Wille dieses Mannes an deinem zerbrechen wird.«
– „Die Verlobten des Winters“, S.88

Thorn erscheint da erst einmal als das komplette Gegenteil von Ophelia. Gross und schlaksig und mit der Gefühlswelt eines Eisklotzes. Auf den ersten Blick ist er mit seinem mürrischen Gesichtsausdruck ein wahrlich unsympathischer Zeitgenosse. Je mehr man jedoch gemeinsam mit Ophelia hinter seine unnahbare Fassade blickt, desto mehr liebt man ihn. 

4 – all die grandiosen Nebencharaktere

Überhaupt wird die Welt von unglaublich vielfältigen, liebenswerten und teilweise skurilen Persönlichkeiten bevölkert. Archibald, der Botschafter vom Mondscheinpalast, der gar ein Lotterleben führt und für seine Rolle als Repräsentant ganz unpassend erscheint. Madam Hildegard, die den Raum wie keine andere beherrscht und die mehr als nur einen Raum im Raum erschaffen kann. Oder Ambrosius, bei dem die rechten und linken Extremitäten vertauscht sind und der gar nicht so real ist, wie er scheint. Nur um ein paar zu nennen.
All diese Charaktere zeugen von der unglaublichen Fantasie und dem Ideenreichtum Christelle Dabos‘, alle sind irgendwie besonders, sei es durch ihre Gaben, ihren Charakter oder auch nur durch ein auffälliges äusserliches Merkmal.

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5 – die Komplexität der Geschichte

Was sich im ersten Buch noch ein bisschen wie eine Jugendfantasygeschichte liest entwickelt sich von Band zu Band zu einer komplexen Story, die nicht nur ein grundlegendes Verständnis von Physik sondern auch von Geschichte, Philosophie, Medizin und Ethik erfordert. Ich muss gestehen, im letzten Band „Im Sturm der Echos“ werden ganz schön komplexe Zusammenhänge hergestellt und aufgedeckt. Da bin ich mir also auch nicht sicher, ob ich wirklich alles verstanden habe. Allerdings gibt diese Komplexität der Geschichte auch Tiefe und Glaubhaftigkeit. Die Gesetzmässigkeiten der Archen wirken so nicht aus der Luft gegriffen, sondern begründet und logisch. Diese Welt ist durchdacht und das gefällt mir. Natürlich werden nicht alle Fragen abschliessend geklärt und erklärt, aber das muss auch nicht. Ein bisschen etwas darf auch noch der Fantasie der Leser und Leserinnen überlassen werden. 

»Wirkliche Fehler sind nur solche, die man nicht korrigiert.«
Ophelia betrachtete lange Elizabeths wächsernes, über das Notizbuch gebeugte Profil. Die junge Frau gab nicht viel von sich preis, doch was sie ihr gerade gesagt hatte, was das Tröstlichste, was sie an diesem Tag gehört hatte.

– „Das Gedächtnis von Babel“, S. 141

Na, habe ich euch zu viel versprochen? Die Spiegelreisende Saga ist wirklich eine ganz besondere Geschichte voller Fantasie, Weisheit, Mut und Liebe, die ich euch absolut ans Herz legen kann und die alle Fantasyfans unter euch und jene, die es werden wollen unbedingt lesen sollten. 


Die Reihe

Die Verlobten des Winters | Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast | Das Gedächtnis von Babel | Im Sturm der Echos
erschienen im Insel Verlag 2019/2020 als gebundene Ausgaben, aus dem Französischen übersetzt von Amelie Thoma


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