Rezension | Unsere Seelen bei Nacht – eine Geschichte über Einsamkeit und spätes Glück

Unsere Seelen bei Nacht | Kent Haruf | Diogenes | aus dem Amerikanischen von pociao | März 2017 | 208 Seiten

»Ich habe mir das genau überlegt – es ist mir egal, was die Leute denken. Viel zu lange habe ich darauf geachtet, mein ganzes Leben lang. Aber damit ist jetzt Schluss.«
– S.13

Kurz vor seinem Tod im Jahr 2014 brachte Kent Haruf diese Geschichte zu Papier und irgendwie liest sie sich auch ein klein wenig anders, wenn man weiss, dass der Autor wohl von seinem baldigen Tod wusste, während er daran schrieb. und trotzdem (oder gerade deswegen) ist dieses Büchlein positiv, zart und voller Hoffnung erzählt.

Spätes Glück und ganz viel Missgunst

Abbie und Louis sind beide bereits 70 Jahre alt, verwitwet und leben in Holt,  Colorado. Zusammen mit ihren Partnern lebten sie ihr Leben voller schöner und manchmal auch sehr trauriger Momente. Nun jedoch sind sie alleine in ihren Häusern, fühlen sich einsam und verspüren den Wunsch nach Gesellschaft und jemanden zum Reden.

»Ich wollte fragen, ob du dir vorstellen könntest, hin und wieder zu mir zu kommen und bei mir zu schlafen.«
– S. 9

Mit diesen Worten von Abbie kommt nun die ganze Geschichte ins Rollen. Abbie ist einsam, besonders in den Nächten. Sie kann nicht schlafen, liest die ganze Nacht und wünscht sich Gesellschaft in ihrem grossen Haus. Was auf den ersten Blick nach einem eigenartigen Vorschlag klingt, erweist sich für die beiden als grosses Glück. Zu Beginn sind sie noch vorsichtig, unsicher, ist es doch nicht nur ein grosser Schritt jemand Fremdes im eigenen Kent_Haruf_1Bett schlafen zu lassen, sondern nach Jahren der Einsamkeit einen Menschen überhaupt wieder in sein Leben zu lassen. Schnell merken sie jedoch, wie gut ihnen die Zweisamkeit tut. Abbie und Louis verstecken sich auch nicht, spazieren durch die Strassen von Holt und trinken Kaffee zusammen.
Natürlich zerreissen sich die Leute die Mäuler über sie, tuscheln hinter ihren Rücken und rücken die Beziehung der beiden in ein schlechtes Licht. Als wäre es etwas unerhörtes, was da vor sich geht. Wirklich geärgert habe ich mich darüber, wie viele ihre Nase doch in fremde Angelegenheiten stecken und meinen, eine qualifizierte Meinung zu etwas abgeben zu können, obwohl sie keine Ahnung davon haben. Auch die Reaktion der Kinder der beiden machte mich wütend. Es ist unglaublich, wie die Kinder versuchen ihre eigenen Eltern zu beeinflussen und zu bevormunden. Ich hoffe ja ganz fest, dass ich meinen Eltern gegenüber nie so sein werde. Abbie und Louis sind zwei erwachsene Menschen und es ist doch nur natürlich, dass man auch im Alter neue Menschen kennen lernt und sich dabei vielleicht auch verliebt. Ich kann absolut kein Verständnis für diese ablehnenden Reaktionen und den emotionalen Druck, der ausgeübt wird, aufbringen. Ich glaube, das ist auch mit ein Grund, warum mich Unsere Seelen bei Nacht etwas unbefriedigt zurück gelassen hat.

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Sanft und ruhig erzählt

Kent Haruf erzählt mit ganz viel Ruhe und Empathie von seinen Figuren, von ihrem alltäglichen Glück und Unglück. Die Sprache ist dabei absolut schlicht und schnörkellos, wodurch die Geschichte nie kitschig oder pathetisch wirkt. Es geht einfach um zwei ältere Menschen, die sich finden und gemeinsam nach dem Glück suchen.
Was für mich jedoch bei der ganzen Schlichtheit und Sanftheit etwas auf der Strecke blieb, waren die Emotionen. All die einfachen Beschreibungen und Dialoge sind ja gut und recht, aber wenn ich dabei kein Gefühl für die Charaktere und deren Emotionen bekomme, so kann ich auch nur bedingt Anteil nehmen an deren Leben. Ich bleibe ein stiller Beobachter und mit dem Zuklappen des Buchdeckels driftet die ganze, schöne und eigentlich sehr emotionale Geschichte ab in die Vergessenheit. Es wäre sicherlich spannend, sich die Verfilmung mit Robert Redford und Jane Fonda einmal anzusehen. Bilder vermögen Emotionen ja manchmal noch ganz anders zu transportieren als Worte.

Fazit

Mit seinem letzten Roman greift Kent Haruf ein Thema auf, das sowohl in der Film- wie auch in der Buchwelt nur wenig Beachtung findet. Abbie und Louis wollen auch im Alter noch ein selbstbestimmtes Leben führen, sehen sich Lese-Tippaber mit allerlei Hindernissen, Geschwätz, Neid und emotionalem Druck konfrontiert.
Mit seiner schlichten und schnörkellosen Sprache schaffte es Haruf die Geschichte sanft und ruhig zu erzählen, nichts wirkt kitschig oder pathetisch. Leider bleiben für mich die Emotionen aber doch ganz schön auf der Strecke und ich bekomme kein Gefühl für die Charaktere. Ich bleibe nur ein stiller Beobachter in dieser Welt. Trotz des emotionalen Themas und dem Ärger über so einige Handlungen der Figuren.

Weitere Meinungen

»Kent Haruf ist mit seinem letzten Roman ein ruhiges aber kraftvolles Buch über das Leben und Lieben im Alter gelungen, das mich sehr bewegt aber auch nachdenklich gestimmt hat.« – Ms. Caulfield

»Addie und Louis sind zwei wunderbare Charaktere, die sich mit der Selbstgerechtigkeit und Engstirnigkeit von Familie und Kleinstadtbürgern auseinandersetzen müssen. Kent Haruf erzählt davon in einer sehr angenehmen, unaffektierten Sprache und erschafft damit ein glaubhaftes Plädoyer für Selbstbestimmung im Alter.« – Bücherkaffee

»Die Geschichte von Addie und Louis ist einfach wunderbar zart und wohltuend. Was mit einer wagemutigen Idee beginnt, führt zu einem späten, grossen Glück.« – Lesefieber


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8 Antworten zu “Rezension | Unsere Seelen bei Nacht – eine Geschichte über Einsamkeit und spätes Glück”

  1. Kennst du den Film zum Buch? Wenn ich die Namen von den Schauspielern zu den von dir beschriebenen Figuren verbinde, kann ich diese Geschichte vor meinem „geistigen Auge“ schon sehen. Diese Besetzung passt ja hervorragend zum Thema!:)) Grüessli Mami

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  2. „Kent Haruf erzählt mit ganz viel Ruhe und Empathie von seinen Figuren“…
    Und trotzdem fehlen Emotionen? Das verstehe ich nicht so recht, aber da diese ja bei Lesern unterschiedlich auftreten, mag es sein.
    Auf diesen Schriftsteller traf ich nun son einige Male, Anne PARDEN hat über ABENDROT auf unserem Blog LITTERAE-ARTESQUE geschrieben.
    Viele Grüße aus MeckPom.

    https://litterae-artesque.blogspot.com/2019/02/haruf-kent-abendrot.html

    Gefällt 2 Personen

    • Naja, wie Emotionen vom Autor beschrieben werden und wie sie dann schlussendlich beim Leser ankommen sind für mich zwei Paar Schuhe. So sehe ich hier durchaus, dass Kent Haruf nahe an seinen Protagonisten war und ein sehr sorgfältiges Bild von ihnen versucht zu zeichnen, aber durch seinen Schreibstil und die Wortwahl wirkt alles nüchtern und gedämpft auf mich. Aber wie du sagst, jeder liest das wieder ein bisschen anders.

      Grüessli, Daniela

      Gefällt 2 Personen

  3. Ich kann nun natürlich nicht sagen, ob der Film dem Buch entspricht, aber es könnte so sein. Unaufgeregt, mit verhaltenen leisen Emotionen, die von den beiden „Altmimen“ wunderbar gezeigt werden. Nur andeutungsweise wird die Kritik an der Beziehung gezeigt, ihr sohn, der da Einwände hat, seine alten Kumpels im Kaffee mit ihren Altmännerwitzen. (Ich darf gar nicht dran denken ;) )
    Ihr Enkel ist ein schönes Bindeglied.
    Doch, ein schöner Film. Nicht nur für alte Leute ;)
    Viele Grüße
    Uwe

    Gefällt 1 Person

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