Rezension | Heimkehren – eine etwas andere Familiensaga

»Willst du wissen, was Schwäche ist? Schwäche ist es, jemanden so zu behandeln, als würde er einem gehören. Stärke ist es zu wissen, dass jeder nur sich selbst gehört.«

– S. 40

Heimkehren | Yaa Gyasi | aus dem Englischen von Anette Grube | August 2017 | Dumont Buchverlag | 416 Seiten

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Ich sag es immer wieder zu mir selbst, bei der Wahl der Lektüre sollte ich auf mein Bauchgefühl hören und das Lesen, worauf ich Lust habe. Dann werde ich nämlich (meistens) mit tollen Geschichten, spannenden Themen und interessanten Büchern belohnt.
Und genau so erging es mir auch mit Heimkehren von Yaa Gyasi. Eines Abends im Skiurlaub griff ich spontan zu meinem eReader von Pocketbook, scrollte durch die ungelesenen Bücher und blieb eben bei Heimkehren hängen. Ohne Erwartungen ging ich an die Lektüre – ich wusste nicht einmal, worum es eigentlich gehen sollte – und wurde umgehauen von der Intensität und Kraft der Erzählung.

Kurz zum Inhalt

Heimkehren ist die Familiengeschichte zweier Halbschwestern, die sich nie kennen lernen. Mitte des 18. Jahrhunderts wächst Effia in einem Fante Dorf im Süden Ghanas auf. Sie erlebt wie weisse Männer in ihr Dorf kommen, um Mädchen zu kaufen. Als der Weisse James Collins um ihre Hand anhält, nehmen die Eltern das verlockende Angebot an und verheiraten ihre Tochter mit dem britischen Sklavenhändler. Fortan lebt Effia mit James in der Festung Cape Coast und führt ein Leben mit vielen Annehmlichkeiten.
Direkt unter der Festung befindet sich das Verlies für die Sklaven, in dem Esi seit zwei Wochen fest gehalten wird. Ihr Dorf wurde von den Fante überfallen, sie selbst gefangen genommen, verschleppt und als Sklavin an die Briten verkauft. Esi überlebt die unmenschlichen Bedingungen im Verlies, Vergewaltigungen, Demütigungen und die Überfahrt in die USA, wo ihr und ihrer Familie weiteres Leid droht.

Wie ich es fand

Das Buch ist sehr clever aufgebaut. Abwechselnd gibt die Autorin kurze Einblicke in das Leben der Nachkommen der beiden Halbschwestern und portraitiert so nicht nur deren Leben sondern auch die damaligen Zeiten. Anhand von Esi’s Familie wird das Leben der Sklaven und People of Color in den USA skizziert. Es geht um Gewalt, Flucht, die turbulenten Zeiten nach der Abschaffung der Sklaverei und die neugewonnene, fragile Freiheit bis hin in die Zeit der Rassentrennung. Gleichzeitig herrschen aber auch in Ghana Konflikte zwischen verfeindeten Volksgruppen, die eigentlich beide die britischen Kolonialherren loswerden wollen. Effia’s Nachkommen sind sowohl Kollaborateure als auch Unabhängigkeitskämpfer.

Diese Portraits machen den Roman so speziell und lesenswert. Denn auch wenn zwischen den einzelnen Kapiteln zum Teil grosse Zeit- und Ortssprünge liegen und das zu Beginn erst einmal überrascht, so machen sie die Geschichte auch sehr abwechslungsreich und zeigen, dass das Leben ein grosses Abenteuer ist und ma nie weiss, wohin es einem bringt.
Auch die Themen des Romans machen dies deutlich. Stark im Vordergrund stehen dabei die Sklaverei, Rassismus und die Diskriminierung der PoC. Damit verbunden sind aber auch Themen wie Entwurzelung, Heimat oder Familie. All dies beleuchtet Yaa Gyasi aus den unterschiedlichsten Perspektiven, aber egal von welcher Seite man es betrachtet, die Grauen bleibt immer das gleiche. Jedes Schicksal ist verflochten und erzählt die grausame und hässliche Geschichte der Welt.

»Als er noch Sklave gewesen war, hatte sein Besitzer zumindest dafür sorgen müssen, dass er am Leben blieb, wenn er etwas für sein Geld wollte. Wenn H jetzt umkäme, würden sie einfach den nächsten Mann mieten. Ein Maultier war mehr wert als er.«

– S. 145

Von der ersten Seite an konnte mich Yaa Gyasi mit ihrer Familiensaga begeistern. Sie schreibt in stimmungsvollen Bildern und berichtet schonungslos von den Verhältnissen im Verlies, den Grausamkeiten der Sklaverei oder den Ungerechtigkeiten in den Strassen Harlems. Am liebsten würde man gleichzeitig das Buch zu klappen und jedes Wort aufsaugen. Denn zwischen all dem Düsteren und Unheilvollem gibt es immer wieder Lichtblicke, Hoffnung, Freude und ein unbändiger Wille zu überleben, zu leben und schlussendlich glücklich zu werden.
Heimkehren ist ein kraftvolles, starkes Buch, dass von seinen Bildern und Schicksalen lebt. Sprachlich kommt es ohne Schnörkel und Firlefanz daher. Geradlinig erzählt die Autorin die Geschichte ihrer Protagonisten, wobei sie es schafft, jedem seine ganz eigene Stimme zu geben.

»Das Bedürfnis, etwas »gut« oder »schlecht« zu nennen, das eine »weiss« und das andere »schwarz«, war ein Impuls den Effia nicht verstand. In ihrem Dorf war alles alles. Alles trug das Gewicht von allem anderen.«

– S. 28

Dieses Buch durfte ich übrigens auf dem Touch HD 3 in Spicy Copper von Pocketbook lesen. Dieser eReader ist super leicht und handlich und so mega praktisch um auch dicke, ausführliche Geschichten unterwegs zu lesen.

Fazit

Heimkehren ist wie gesagt ein kraftvoller, starker und vielschichtiger Roman, der seine Leser*innen mitnimmt auf eine Reise durch die Jahrhunderte und die Welt. Er erzählt von Sklaverei, Entwurzelung, Rassismus oder Demütigung. Immer wieder blitzt aber auch ganz viel Hoffnung und der unbändige Wille zu Leben zwischen all dem Leid und der Ungerechtigkeit hervor.
Heimkehren ist ein überaus wertvoller Roman, kulturell, politisch aber auch literarisch und ich wünsche mir, dass ihn ganz viele Menschen lesen. Für mich ist dieses Buch ganz klar ein Lesehighlight im neuen Jahr, wenn nicht gar ein All-time-favourite!

Weitere Meinungen

»Heimkehren ist ein absolut lesenswertes Buch, das ich allen ans Herz legen möchte, die glauben, bereits genug aufgeklärt zu sein und all jenen, die sich noch weiter aufklären lassen wollen.«Das Bücherregal

»Heimkehren ist kein schönes, aber ein wichtiges und berührendes Buch, das von Ausbeutung, Skrupellosigkeit und Entmenschlichung erzählt und das den Leser mitnimmt in die Zeiten des Sklavenhandels und der Sklaverei und an die Orte des Rassenhasses.«Travel without moving

»Es ist ein unglaublich gut geschriebenes Debüt, manchmal ob der vielen Protagonisten ein wenig verwirrend, dafür aber spannend, berührend, schockierend und mit seinem Kernthema Rassismus natürlich auch politisch extrem aktuell.«Let us read some books


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Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Pocketbook, der eReader wurde mir zum Testen zur Verfügung gestellt. 

3 Antworten zu “Rezension | Heimkehren – eine etwas andere Familiensaga”

  1. Hallo liebe Daniela

    Es scheint, als hättest du hier bereits eines deiner 2021-Highlights gelesen und ich habe mir das Buch dank dir auf die Wunschliste gesetzt. Aktuell verweigere ich mich Neuzugängen (mit einer kleinen Ausnahme) noch ein wenig und widme mich intensiv dem SuB, aber lange werde ich sicher nicht mehr widerstehen können ;-)

    Alles Liebe an dich
    Livia

    Gefällt 1 Person

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