Rezension | Elena Ferrante – Meine geniale Freundin

Meine geniale Freundin | Elena Ferrante | aus dem Italienischen von Karin Krieger | August 2016 | Suhrkamp | 422 Seiten

 

»Der Pöbel, das waren wir. Der Pöbel, das war das Gezanke ums Essen und um den Wein, war das Gestreite darum, wer zuerst und besser bedient wurde, war dieser dreckige Fussboden, auf dem die Kellner hin und her liefen, und die immer vulgärer werdenden Trinksprüche.« (S. 421)

Erster Satz

Heute Morgen hat mich Rino angerufen, ich dachte, er wollte wieder einmal Geld, und wappnete mich, es ihm zu verweigern.

Verlagstext

Sie könnten unterschiedlicher kaum sein und sind doch unzertrennlich, Lila und Elena, schon als junge Mädchen beste Freundinnen, im Neapel der fünfziger Jahre. Und sie werden es ihr ganzes Leben lang bleiben, über sechs Jahrzehnte hinweg, bis die eine spurlos verschwindet und die andere auf alles Gemeinsame zurückblickt, um hinter das Rätsel dieses Verschwindens zu kommen.

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Meine Meinung

Ich bin ziemlich lange immer wieder um dieses Buch herum geschlichen. Bis zu dieser denkwürdigen Diskussion im Skiurlaub und der Buchbesprechung von Tina von super.lese.helden. Kurz danach landete es auf meinem Bücherstapel.
Und ich muss gestehen, mir ging es lange Zeit sehr ähnlich wie Tina und ich fragte mich, was dieses Ferrante Fever nun eigentlich soll. Bis dann die letzten paar Seiten das Ruder herum rissen und mich mit einem schweren Schub dieser ansteckenden Krankheit infizierten.

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Noch eine Bemerkung vorne weg. Dieses Buch habe ich im Rahmen der BUCHweltreise von Yvonne von umgeBUCHt gelesen. Durch einen Klick auf das Banner gelangt ihr zu weiteren Informationen. Zusammen mit Lenù und Lila bin ich durch den Rione von Neapel gewandert, habe das Meer gesehen, die erste Liebe und die ersten Enttäuschungen erlebt.

Alles beginnt damit, dass Raffaella Cerullo, genannt Lila, mit 66 Jahren von einem Tag auf den anderen spurlos verschwindet. Ihre Kindheitsfreundin Elena Greco nimmt dies zum Anlass die Geschichte ihrer Kindheit und ihrer unvergleichlichen Freundschaft aufzuschreiben. Dabei erzählt sie ihrem vom ständigen Wettstreit um den Platz der Klassenbesten in der Schule, von ersten Liebeleien und Beziehungskisten. Aber auch von den Bewohnern des Viertels, den Geachteten, den Verachteten und den Gefürchteten. Und von der Gewalt, dem Neid und der Missgunst, die sowohl in wie auch zwischen den Familien allgegenwärtig ist. Dabei verliert sie jedoch nie die Freundschaft der beiden Mädchen aus den Augen, die geprägt ist von Höhen und Tiefen.

»Ich beschloss, mir an diesem Mädchen ein Beispiel zu nehmen und sie nie aus den Augen zu verlieren, auch dann nicht, wenn sie ärgerlich werden und mich wegjagen sollte.« (S. 50)

Im Mittelpunkt dieses Romans stehen die zwei Freundinnen Raffaella „Lila“ Cerullo und Elena „Lenù“ Greco, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Elena, das blonde, rundliche, intelligente und schüchterne Mauerblümchen und Lila, die dunkelhaarige, scharfsinnige, kantige und draufgängerische Schönheit.
Durch diese Verschiedenartigkeit spornen sie sich gegenseitig an, konkurieren und inspirieren sich. Und auch wenn sie sich manchmal über längere Zeit aus den Augen verlieren, so richten sie ihr Handeln und Tun, wie von unsichtbaren Fäden gezogen, aufeinander aus.

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Der ganze Roman lebt von diesen starken Figuren und ihrem Kampf im Neapel der 50er Jahre als Frau ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Was in diesem sozialen, von Männern und der Camorra dominierten, Gefüge ein schwieriges Unterfangen ist. Grad die Mafia erstickt jegliche Versuche aus dieser Spirale von Armut und Gewalt zu entfliehen.

»Danach gingen die Männer nach Hause, noch gereizter von den Verlusten im Spiel, vom Alkohol. von den Schulden, von den Fälligkeitsterminen und von den Schlägen, und beim ersten falschen Wort verprügelten sie Frau und Kinder, eine Kette von Unrecht, das weiteres Unrecht auslöst.« (S. 99)

Von Beginn weg mochte ich Ferrantes Sprache, dieses italienische Flair, das sie verbreitet und die Nostalgie, die sie herauf beschwört. Ihre Figuren sind so echt und lebendig, sie sehen, riechen, fühlen, schmecken – wie im wahren Leben. Und so entwickelt die Geschichte eine regelrechte Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann.
Was mir jedoch lange Zeit etwas Mühe bereitete, war der fehlende Handlungsbogen. Die Geschichte hat keinen erkennbaren Höhepunkt, auf den alles zusteuert. So wirken die erzählten Episoden lange etwas unzusammenhängend und ich als Leser tappte im Dunkeln, was mir das Buch jetzt eigentlich erzählen will. Ohne zu spoilern, kann ich jedoch behaupten, dass die letzten 100 Seiten das Ruder noch einmal umzureissen vermögen.

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Fazit

Lese-TippMeine geniale Freundin ist ein unterhaltsamer Roman, über die Freundschaft zweier italienischer Mädchen. Vor dem Schauplatz eines ärmlichen Viertels, dominiert von der Camorra, erleben sie Konkurrenzkämpfe, die erste Liebe und viele Hochs und Tiefs. Das Ferrante Fever liess einen Moment auf sich warten, hat mich aber auf den letzten 100 Seiten gepackt. Nachschub ist bereits unterwegs.

Die Reihe

Meine geniale Freundin | Die Geschichte eines neuen Namens | Die Geschichte der getrennten Wege | Die Geschichte des verlorenen Kindes


Über die Autorin

Elena Ferrante ist die grosse Unbekannte der Gegenwartsliteratur. In Neapel geboren hat sie sich mit dem Erscheinen ihres Debütroman im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Meine geniale Freundin ist ein weltweiter Bestseller und der erste Band der neapolitanischen Saga. (Quelle: Buchumschlag)

Die Rechte am gezeigten Cover, dem Klappentext und den zitierten Textstellen liegen beim genannten Verlag. 

12 Antworten zu “Rezension | Elena Ferrante – Meine geniale Freundin”

  1. Hmmm hm hmm… Ich bin auch schon Lange am überlegen, ob ich das Buch kaufen soll oder nicht. Eine Freundin, auf deren literarische Kenntnisse ich absolut schwöre, fand es unglaublich toll, aber immer wieder stoße ich auf Kritiken, die nicht so begeistert klingen. Ganz schwierig. Du bist ja auch erst von den letzten 100 Seiten begeistert, aber wenn der Anfang so zäh und chaotisch ist, habe in meine Zweifel, ob ich bis dahin komme ;) Ich bin also immer noch unschlüssig…

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